Gertraudenfriedhof Halle/Saale
Der Gertraudenfriedhof ist mit ca. 37 ha Gesamtfläche der größte Friedhof in Halle/Saale. Ungefähr ein Drittel dieser Fläche wird heute bewirtschaftet. Das Gelände für den bereits seit 1909 geplanten Zentralfriedhof liegt am nördlichen Stadtrand hinter der Bahntrasse in Richtung Halberstadt am Landrain zwischen dem Galgenberg und der Dessauer Straße.
Erbaut wurde der Gertraudenfriedhof zwischen 1913 und 1916 unter der Leitung des halleschen Stadtbaurates Wilhelm Jost. 1874 in Darmstadt geboren, studierte Jost Architektur an der Technischen Hochschule in Darmstadt. Er erfuhr prägenden Einfluss durch die um die Jahrhundertwende entstandene Heimat- und Denkmalschutzbewegung. Jost war nach seinem Studium im hessischen Staatsdienst angestellt und leitete vor allem bis zu seiner Anstellung als Stadtbaurat in Halle im Jahr 1912 die Um- und Neubauten der Kuranlagen in Bad Nauheim. Als Stadtbaurat und Leiter des Hochbauamtes hinterließ Wilhelm Jost bis zu seinem Amtsende 1939 einen tiefen Eindruck im architektonischen Stadtbild. Von seiner 27- jährigen Amtszeit zeugen noch ca. 50 Bauwerke in Halle. Herausragende Beispiele sind: die Sparkasse in der Rathausstraße, das Stadtbad in der Schimmelstraße, das Solbad Wittekind, der Ratshof auf dem Marktplatz und der Wasserturm Süd am Lutherplatz.
Wilhelm Jost starb 1944 und wurde auf dem Gertraudenfriedhof in direkter Sichtachse zur Großen Feierhalle an der westlichen Begrenzungsmauer am Bergschenkenweg beigesetzt (Abb. 1).
Dem Besucher erschließt sich der Gertraudenfriedhof am eindrucksvollsten durch zwei Zugänge, durch den Haupteingang an der Ecke Dessauer Straße – Landrain (Südost) und den Eingang am Landrain (Süden).
Heute wird der Haupteingang von einem Blumengeschäft und dem ehemaligen Pförtnerhäuschen gerahmt. Anstelle des Blumenladens flankierte das Haupttor ursprünglich ein Unterstand ähnlich dem Pförtnerhäuschen (Abb. 2). Nachdem das Tor zum Gertraudenfriedhof passiert ist, wird man von einer breiten Allee zu einem Rondell geführt. Dies stellt den Beginn der von Ost nach West verlaufenden Hauptachse des Friedhofs dar. Der Blick wird direkt auf die monumentale Gebäudegruppe um die große Feierhalle gelenkt. Weiter in Richtung Westen gehend eröffnet sich dem Besucher das von hohen Pappeln umsäumte, vertiefte Wasserbecken, in dem sich die Feierhalle spiegelt (Abb. 3).
Durch den Eingang am Landrain betritt man den rechteckigen Vorhof des Gertraudenfriedhofs. Er ist von einer Mauer und Resten einer Säulenreihe aus achteckigen Säulen umschlossen. Sie waren Teil einer Vorhofsituation, die bei einem Bombenangriff 1944 zerstört wurde. Bis dahin standen links und rechts neben dem großen fünffachen Eingangsportal zwei Einfamilienhaus große Verwaltungs- bzw. Wohnungsbauten für Inspektor, Aufseher und Obergärtner, vor denen die beiderseitigen Säulenreihen in überdachten Vorhallen endeten (Abb. 4 und 5).
Über einen, schon beim Betreten des Friedhofes im Blick liegenden Treppenaufgang geht der Besucher entweder auf die vor ihm liegende ca. 2 Meter erhöhte terrassenartige Ebene mit ihren überdachten Säulenhallen oder er geht rechts an ihr vorbei und erreicht den weiträumigen Vorplatz. In der Mitte des Vorplatzes erstreckt sich das bereits erwähnte Wasserbecken.
Auf der Terrasse, die vom Vorplatz aus über eine breite Freitreppe oder im Rechten Winkel verlaufende Rampen zu erreichen ist, ragt der monumentale, blockartig wirkende Zentralbau der großen Feierhalle empor. Er ist der Mittelpunkt des architektonischen Ensembels und steht in der Tradition antiker Memorialbauten auf den die gesamte Friedhofsanlage ausgerichtet ist. Das von vier Säulen getragene Portal mit schmucklosem Tympanon sowie die vertikal langgestreckte, rundbogige Blendgliederung vermitteln einen klassisch-antiken Charakter des Gesamtbaus. Bemerkenswert ist, dass die Feierhalle, die von außen einen quadratischen Grundriss aufweist, innen rund ist und unter dem gewölbten Walmdach in einer Kuppel abschließt. Im schlichten Innenraum dominieren eher kalte Blau- und Grautöne, welche die Aufmerksamkeit, verstärkt durch die vertikale Lisenengliederung des Rundbaus, auf die von acht Dreiviertelsäulen getragene Kuppel lenken. Die 1914 von Karl Völker (1889–1962) mit Engel-Fresken ausgemalte Kuppel stellt den gestalterischen Höhepunkt der Feierhalle dar (Abb. 6).
An beide Seiten der großen Feierhalle ist jeweils ein Querflügel angeschlossen. Der rechte Bau beinhaltet Warteräume und die schlichte kleine Feierhalle, der linke verschiedene Büroräume der Friedhofsverwaltung und eine kleine Kapelle. Diesen Bauten sind offene, überdachte Säulengänge vorgelagert. Die Gänge setzen sich im Rechten Winkel in überdachten Säulenhallen fort, die den seitlichen Abschluss der Terrasse bilden und jeweils in einem kleinem Raum enden.
Auffällig sind die zwei, wieder auf die Antike verweisenden, ca. 10 Meter großen Malsäulen (Abb. 7 und 8) auf der Terrasse, auf denen ein Totentanzrelief abgebildet ist (Abb. 9). Ursprünglich trugen sie überlebensgroße Figuren, doch seit Dezember 1988 sind nur noch die Säulenschäfte mit den Kapitellen zu sehen. Auf der linken Säule stand eine männliche Statue, die eine Fackel empor, auf dem Pendant eine weibliche Plastik, die eine erloschene Fackel zur Erde gesenkt hielt. Der Verbleib dieser, das Leben und den Tod symbolisierenden Plastiken ist bis heute ungeklärt. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurden sie von Paul Horn (1876–1959) geschaffen. Das Totentanzrelief schuf sein Sohn Richard Horn (1898–1989).
Von der alles überragenden großen Feierhalle schließen sich in Richtung Westen in einer, an Höhe und Breite abnehmenden, dreifachen Abstufung die Funktionsbauten des Feuerbestattungsvereins an. Hierzu gehören die Aufbahrungsräume und das alte Krematorium mit seinen markanten Schornsteinen, welches unter Denkmalschutz steht. Den westlichen Abschluss des Baus bildet eine Apsis (Abb. 10). Seit 1993 steht auf dem Gelände des Feuerbestattungsvereins hinter der kleinen Feierhalle eine neue Einäscherungsanlage.
Vom bereits erwähnten Vorhof durch eine Mauer abgetrennt erstreckt sich südlich der großen Feierhalle der Wirtschaftshof der Friedhofsverwaltung mit Gärtnerei und Verwaltungsgebäude sowie dem kleinen ehemaligen Leichenwärterhaus.
Die Hauptgebäude auf dem Gertraudenfriedhof wurden 1976 unter Denkmalschutz gestellt und in den darauf folgenden Jahren weitestgehend rekonstruiert. Bei der architektonischen Gestaltung der Gebäude waren für Wilhelm Jost vor allem die von Hans Grässel (1860–1939) angelegten Münchner Friedhöfe, wie der Wald- bzw. der Westfriedhof leitende Vorbilder. An den Gertraudenfriedhof als Vorbild lehnt sich hingegen stark die Gebäudegruppe des Dortmunder Hauptfriedhofs an.
Bei der Planung von Anlage und Wegführung legte Wilhelm Jost den Schwerpunkt auf Zweck-mäßigkeit und auf Vermittlung einer ernsten und würdigen aber dennoch feierlichen Stimmung. So sind zur besseren Erschließung des Friedhofsgeländes die betont regelmäßig und gradlinig verlaufenden Wege nach Haupt- und Nebenwegen unterteilt, die sich deutlich in ihrer Breite unterscheiden. Zwischen den Wegen liegen die in Form und Größe verschiedenen und von dichten Baumreihen oder Hecken getrennten meist rechteckigen Einzelfriedhöfe. Durch ihre in sich geschlossene Art und Raumwirkung wird die trostlose Öde von weiten Gräberfeldern vermieden. Das Kolumbarium auf dem Gertraudenfriedhof, nördlich der Hauptachse in Höhe des Wasserbeckens ist eine offene Anlage auf einem rechteckigen Grundriss, die erst 1936 fertiggestellt wurde (Abb. 11). Gegliedert wird die Kalksteinummauerung durch große Rundbögen, in denen sich die Urnennischen befinden. In der Mitte des Kolumbariums steht seit 1979 die von Richard Horn geschaffene Skulpturengruppe „Die endlose Straße“, die an einen Totentanz, ähnlich dem an den Säulen vor der Feierhalle, erinnert (Abb. 12).
Das 1949 von Herbert Volwahsen geschaffene Relief „Passion“, zum Gedenken an die Opfer des Faschismus ist in der Nähe des erst 1990 eingerichteten westlichen Nebeneingangs am Berg-schenkenweg aufgestellt worden (Abb. 13). Neben dieser und weiterer Gedenkstätten sind auf dem Gertraudenfriedhof auch mehrere Ehrenfriedhöfe angelegt, z. B.: für anonym Bestattete, die ihren Körper der anatomischen Forschung zur Verfügung stellten, ein Friedhof für die Gefallenen beider Weltkriege sowie einen Urnenfriedhof für Torgauer Häftlinge der Jahre 1950–1953. Da dies nur ein kurzer Überblick über den Gertraudenfriedhof sein soll, wird an dieser Stelle auf eine vollständige Aufzählung aller Gedenkstätten und Ehrenfriedhöfe verzichtet.
Der Gertraudenfriedhof ist trotz seines teilweise veränderten Erscheinungsbildes ein Gesamtkunstwerk. Er ist die Verschmelzung von Architektur, Gartenkunst, bildender Kunst und Zweckge-bundenheit und stellt im Verständnis seines Architekten Wilhelm Jost ein Zusammenspiel von lebendigen und toten Stoffen dar, die zu einer würdigen und ernsten Anlage verbunden werden konnten (Abb. 14).
Autor Text/Bilder: Mathias Homagk M.A. — Mail: moe-homagk@gmx.de